Von der Krippe zum Kreuz

 

 

Von der Krippe zum Kreuz
Wirklichkeiten in denen wir leben

Eine Projektreihe
vom 2. Dezember 2001 bis 23. März 2002
gemeinsam veranstaltet vom
Leibniz – Gymnasium, Feuerbach
und katholischen Kirchengemeinden
aus dem Dekanat Stuttgart Nord.

Ausgehend von Edith Steins Ansatz, daß das „Kreuz“ und alles was damit verbunden ist nicht ohne die „Krippe“ verstanden werden darf und umgekehrt, daß schon die „Krippe“ vom „Kreuz“ umfangen ist, will diese Projektreihe einzelne Momente dieser Betrachtungsweise musikalisch näher beleuchten. Dahinter steckt die Idee, daß ein Teil ohne die Sicht auf das Ganze nicht begriffen werden kann und daß das Ganze nur verstanden wird, wenn die einzelnen Teile bekannt sind.

Auf die musikalische Ebene übertragen heißt das: eine Komposition kann dem aufmerksamen Hörer Erfüllung geben, wenn das Umfeld, das eine Komposition umgibt, nachvollziehbar ist, wenn das Wesen des Komponisten bekannt ist, wenn das geschichtliche, gesellschaftliche und soziale Umfeld der Komposition berücksichtigt werden kann und wenn ich dies mit meinem im Moment des Hörens befindlichen Zustand verbinden kann.

Auf die gesellschaftliche Ebene übertragen heißt das: „Krippe und Kreuz“ betrifft jeden Menschen in jeder Zeit, und trifft ihn unausweichlich. Jeder Mensch wurde und wird irgendwann einmal mit Geburt, Leben und Tod konfrontiert, auch unseren Kindern und Kindeskindern wird es nicht anders ergehen. Jede Zeit geht aber auf andere Weise mit dieser Thematik um, jede soziale Schicht innerhalb der verschiedenen Zeitalter setzt sich unterschiedlich mit diesem Thema auseinander, – aber im Kern geht es immer um das gleiche.

Höre ich aber Musik, in welche Wirklichkeit begebe ich mich dann? Welche Kraft strömt aus Musik und Literatur aus und zieht mich in ihren Bann? Lasse ich mich in ihren Bann ziehen? Lasse ich zu, meine Umgebung zu verlassen, um in die Tiefen der Kunst zu vergehen? Wo befinde ich mich dann? Wo finde ich mich wieder? Können mir diese Erfahrungen in meinem wirklichen Alltag helfen, haben sie die Kraft zu leben, und geben sie mir die Kraft – zu überleben?

Dieses Projekt will musikalische Aussagen aus verschiedenen Zeiten mit literarischen Texten aus unterschiedlichen Epochen verbindend gegenüberstellen. Unterschiedliche Gruppierungen werden sich – jede auf ihre Weise – mit Musik und Text auseinandersetzen und ihre Sichtweisen vorstellen.

Es werden professionell ausgebildete Musiker zeitgenössische Weihnachtsmusik vorstellen, aktive, musikbegeisterte Sängerinnen und Sänger werden sich der Chormusik der Romantik widmen, Schüler werden sich in einem workshop der zeitgenössischen Musik nähern und in einer Soiree wird diese Sichtweise literarisch verbalisiert; große oratorische Musik wird zu Hören sein, und eine „unendliche“ Musik kann erlebt werden.

Jeweils drei Projekte werden die beiden Themata näher betrachten:

„Von der Krippe zum Kreuz“
Projekt 1 legt den Schwerpunkt auf die Bedeutung der Krippe und des Erscheinens des Erlösers.
Projekt 3 setzt sich in einer philosophisch – theologischen Betrachtung mit der Beziehung der Krippe zum Kreuz auseinander.
In Projekt 5 zentrieren sich alle Gedanken auf das Kreuz.

„Wirklichkeiten in denen wir leben“
In den anderen drei Projekten werden verschiedene Positionen unserer Wirklichkeiten eingenommen.
In Projekt 2 setzt sich das Universum Schule mit den Spannungen der sakralen und profanen Wirklichkeiten auseinander.
Projekt 4 stellt die Wirklichkeit des religiösen Alltags in den Mittelpunkt.
Das Projekt 6 versucht zumindest eine Wirklichkeit hinter unserer real – erlebten Wirklichkeit wahrnehmen zu lassen.

Projekt 1:

„Von der Krippe zum Kreuz“ (1)
„…denn es war aus mit ihnen“

Sonntag, 2 Dezember 2001, 18.00 Uhr,
St. Josef, Feuerbach
mit Werken von Bach, Mahler, Brahms, Scelsi und Dörner
Ausführende:
Dorothea Rieger, Sopran,
Detlef Dörner, Orgel

Projekt 2:

„Wirklichkeiten in denen wir leben“ (1)
„Neue Musik in der Schule“

Sonntag, 3. Februar 2002, 18.00 Uhr
St. Josef, Feuerbach
Konzert von und mit Schülern desLeibniz – Gymnasiums, Feuerbach

„Ist Geräusch Musik?“
„Wann wird das Geräuschhafte zu Musik?“

veranstaltet von der Kirchengemeinde St. Josef und dem Leibniz – Gymnasium, Feuerbach
mit Werken von Ligeti, Cage, Reich, Huber und Mozart

Projekt 3:

„Von der Krippe zum Kreuz“ (2)

Mittwoch, 20. Februar 2002, 20.00 Uhr,
St. Josef, Feuerbach
Eine musikalisch – literarische Soiree

„Daß mehr als eine Welt sei“

Ausführende:
Annegret Müller, Rezitation
Antje Langkafel, Flöte

Projekt 4:

„Wirklichkeiten in denen wir leben“ (2)
„Musik im Dekanat“

Sonntag, 3. März 2002, 10.00 Uhr,
St. Georg, Stuttgart Nord
Sonntag, 10. März 2002, 9.30 Uhr
Zum Guten Hirten, Stammheim
Kinder in der Kirche

„Ich weiß mich gehalten“

veranstaltet von den Kirchengemeinden Zum Guten Hirten und St. Georg
Ausführende:
Kinderchöre von Zum Guten Hirten und St. Georg

Projekt 5:

„Von der Krippe zum Kreuz“ (3)
„Selig sind, die da Leid tragen,
denn sie sollen getröstet werden“

Samstag, 16. März 2002, 19.30 Uhr,
St. Laurentius, Freiberg
Sonntag, 17. März 2002 18.00 Uhr,
St. Josef, Feuerbach
Passionskonzert

Johannes Brahms:
„Ein deutsches Requiem“

veranstaltet von den Kirchengemeinden St. Josef und St. Laurentius
Ausführende:
Gesanssolisten,
die Chöre von St. Josef und St. Laurentius,
Mitglieder des Staatsorchesters Stuttgart

Projekt 6:

„Wirklichkeiten in denen wir leben“ (3)
„Vigil“

Beginn: Freitag, 22. März 2002, 20.00 Uhr
Ende: Samstag, 23. März 2002, in der Frühe
St. Josef, Feuerbach
Nachtwache

Erik Satie:
„Vexations“

Ausführender:
Detlef Dörner, Orgel

                                                                                                                      Eintritt frei!!

Von der Krippe zum Kreuz

„Der Stern von Bethlehem ist ein Stern in dunkler Nacht, auch heute noch. Schon am zweiten Tag (der Weihnachtsfestes) legt die Kirche die weißen Festgewänder ab und kleidet sich in die Farbe des Blutes, und am vierten Tage in das Violett der Trauer: Stephanus, der Erzmärtyrer, der als erster dem Herrn im Tode nachfolgte, und die Unschuldigen Kinder, die Säuglinge von Bethlehem und Juda, die von rohen Henkershänden grausam hingeschlachtet wurden, sie stehen als Gefolge um das Kind in der Krippe. Was will das sagen? Wo ist nun der Jubel der himmlischen Heerscharen, wo die stille Seligkeit der Heiligen Nacht? Wo ist der Friede auf Erden? Friede auf Erden, die guten Willens sind. Darum mußte  der Sohn des Ewigen Vaters aus der Herrlichkeit des Himmels herabsteigen, weil das Geheimnis der Bosheit die Erde in Nacht gehüllt hatte. Finsternis bedeckte die Erde, und er kam als Licht, das in der Finsternis leuchtet, aber die Finsternis hat ihn nicht begriffen. Die ihn aufnahmen, denen brachte er das Licht und den Frieden; den Frieden mit dem Vater im Himmel, den Frieden mit allen, die gleich ihnen Kinder des Lichts und Kinder des Vaters im Himmels sind, und den tiefen inneren Herzensfrieden; aber nicht den Frieden mit den Kindern der Finsternis. Ihnen bringt der Friedensfürst nicht den Frieden, sondern das Schwert. Ihnen ist er der Stein des Anstoßes, gegen den sie anrennen und an dem sie zerschellen. Das ist eine schwere und ernste Wahrheit, die wir uns durch den poetischen Zauber des Kindes in der Krippe nicht verdecken lassen dürfen.“

Edith Stein: Aus einem Vortrag vom 31.1.1931)

Wirklichkeiten in denen wir leben

Daß mehr als eine Welt sei, war eine Formel, die seit Fontenelle die Aufklärung erregte. Noch vor dem Einsetzen kosmogonischer Entwürfe erschien dies als der kräftigste Widerspruch gegen die theologische Metaphysik, die aus dem Schöpfungsbegriff die Einheit der Welt herleiten mußte und sich dabei auf Plato und Aristoteles berufen konnte, die in der Vervielfachung des Kosmos durch Demokrit die Zerstörung der Weltvernunft gefunden und niedergekämpft hatten. Als Kant durch seinen frühen Geniestreich einer „Naturgeschichte des Himmels“ die Einheit des Universums wiederherstellte, gab er auch die vermittelnde Formel einer Welt der Welten.

Daß wir in mehr als einer Welt leben, ist die Formel für die Entdeckungen, die die philosophische Erregung dieses Jahrhunderts ausmachen. Man kann dies als eine absolute Metapher lesen für die Schwierigkeiten, die uns anwachsend begegnen, auf die alltägliche Realität unserer Erfahrung und Verständnisfähigkeit zu beziehen, was in den autonom gewordenen Regionen von Wissenschaft und Künsten, Technik, Wirtschaft und Politik, Bildungssystem und Glaubensinstitutionen „realisiert“ und dem lebensweltlich verfaßten wie lebenszeitlich beschränkten Subjekt „angeboten“ wird, um es schlichtweg begreifen zu lassen, in welchem Maße es unabdingbar schon „dazu gehört“.

Wiederum scheint die Formel einer Welt von Welten das Erfordernis zu bestimmen, das sich angesichts solchen „Weltzerfalls“, solcher Schwierigkeiten mit dem Wirklichkeitsbegriff stellt. Dabei wird man nie sicher sein können, ob die immanenten Prozesse in den an unserer Lebenskonstitution beteiligten „Sonderwelten“ je einen Reifegrad erreicht haben, der ihre Integrationsfähigkeit – oder zumindest: ihre deskriptive Konfrontationsfähigkeit – gewährleistet. Es mag auf viele Experimente ankommen. Und auf viele Anstrengungen, die Divergenz im Weltbegriff präzisere zu erfassen, einleuchtender zu beschreiben.

Dazu gehört auch und sogar zentral die Geduld…

Hans Blumenberg